Vom Protest zur Organisierung
Dass die Freien MitarbeiterInnen des ORF heute in so großer Zahl organisiert sind, verdanken sie Niko Pelinka. Der Versuch, ihn (ohne offizielle Ausschreibung) in einen ORF-Posten zu hieven, ihm ein höheres Gehalt zu verschaffen als seinem Vorgänger und ihn noch dazu in seiner Büroleiterfunktion als Journalisten einzustufen, erzürnte nicht nur die Öffentlichkeit, er entfesselte auch die Empörung der Freien MitarbeiterInnen des ORF.
Zur Lage der Freien im ORF.
Der öffentliche Protest der Freien JournalistInnen in Österreich hat lange auf sich warten lassen. Bei diesem Aufschrei der Prekären handelt es sich um eine längst fällige Reaktion auf unhaltbare Zustände. Doch inwieweit müssen die Freien ihre Empörung „organisieren“, um gehört zu werden?
Wir sind eine heterogene Gruppe aus vielerlei Gründen. Wir arbeiten für das Fernsehen, für den Hörfunk, für die Online-Redaktion. Wir machen aktuelle Berichterstattung, längere Beiträge, Dokumentation und Features. Wir moderieren, wir sprechen, wir führen Regie, wir texten. Wir arbeiten viel, genauso wie unsere angestellten Kollegen und Kolleginnen (die immer weniger werden). Nur bezahlt werden wir wie PraktikantInnen. Wenn wir alle JungjournalistInnen wären, wenn wir hier im ORF erste redaktionelle Erfahrungen sammeln würden, wenn wir in diesem Unternehmen Aufstiegschancen hätten, dann würden wir uns wohl vertrösten lassen. Doch das sind wir nicht. Die meisten der Freien MitarbeiterInnen des ORF arbeiten seit Jahren oder Jahrzehnten für dieses Unternehmen. Sie haben ihren Arbeitsmittelpunkt beim Österreichischen Rundfunk. Sie sind hoch qualifiziert, haben etwas „Gescheites“ gelernt, ihre Arbeit ist preisgekrönt. Und doch haben sie im ORF HilfsarbeiterInnenstatus. Wir haben uns lange mit den schwierigen Arbeitsbedingungen, der schlechten Bezahlung und der mangelnden sozialen Absicherung zufrieden gegeben. Aber es reicht.
Wir sind eine heterogene Gruppe. Manche der Freien MitarbeiterInnen des ORF sind tageweise angestellt, andere arbeiten ausschließlich selbstständig, wieder andere sind sowohl angestellt als auch selbstständig. Es ist ein kompliziertes System. Allen gemein ist, dass die Honorare für die Sendungen und Beiträge dem internationalen Vergleich nicht standhalten. Andere öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten wie der Bayerische Rundfunk oder der Deutschlandfunk zahlen das Doppelte bis Dreifache für die gleiche Arbeit. Das Gegenargument der Direktion: auch die DirektorInnen, die ManagerInnen, die RedakteurInnen des ORF verdienen weniger als die deutschen KollegInnen. Ja. Aber nicht um die Hälfte weniger. Selbst bei einer Verdoppelung der jetzigen Honorare würden die meisten Freien MitarbeiterInnen immer noch weniger als ihre angestellten KollegInnen verdienen, für die gleiche Arbeit.
Wir sind eine heterogene Gruppe. Die Schriftstellerin, die international geschätzte Features gestaltet. Der Wissenschaftsredakteur, der fundiert recherchierte Sendereihen auf die Beine stellt. Die alleinerziehende Mutter, die auch am Wochenende relevante Sozialthemen bearbeitet. Sie alle gehören zum ORF, sie alle sind Teil der Redaktionen, sie alle machen Programm. Und das Programm des ORF lebt von dieser Vielfalt.
Chronologie einer Empörung
Die Freien MitarbeiterInnen des ORF waren schon lange organisiert. Bei regelmäßigen, kleinen Treffen wurde über die schlechten Arbeitsbedingungen gesprochen und über das komplizierte Honorarsystem des ORF, das für viele Freie MitarbeiterInnen regelmäßig zur „Sozialversicherungsfalle“ wird. Sonja Bettel, eine der Freien Mitarbeiterinnen, rief diese Treffen ins Leben. Sie beriet die Freien in Fragen der Honorare, der Sozialversicherung und der Steuern. Sie hörte sich deren Probleme an, die sich aus den unregelmäßigen Arbeitszeiten und der schlechten Bezahlung ergeben. Und sie drängte auf eine Neuverhandlung des Honorarkatalogs.
Die Frustration war schon lange groß, das Zutrauen, beim Management Gehör zu finden, dagegen gering. Zu oft hatten Freie MitarbeiterInnen in ihren Redaktionen auf die schlechten Arbeitsbedingungen hingewiesen. Zu oft hatten sich Kollegen und Kolleginnen beim Personalchef, der Programmdirektion oder der Hörfunkdirektion Termine ausgemacht, und ihre Beschwerden wurden nur achselzuckend quittiert: „Wir haben kein Geld! Wir müssen sparen! Wir müssen jetzt alle an einem Strang ziehen und die Gebührenrefundierung abwarten. Dann … vielleicht … dann vielleicht können wir etwas an der Situation der Freien MitarbeiterInnen ändern!“
Randnotiz aus dem Prekariat
Dass die Freien MitarbeiterInnen des ORF heute in so großer Zahl organisiert sind, verdanken sie Niko Pelinka. Der Versuch, ihn (ohne offizielle Ausschreibung) in einen ORF-Posten zu hieven, ihm ein höheres Gehalt zu verschaffen als seinem Vorgänger und ihn noch dazu in seiner Büroleiterfunktion als Journalisten einzustufen, erzürnte nicht nur die Öffentlichkeit, er entfesselte auch die Empörung der Freien MitarbeiterInnen des ORF. Einige KollegInnen erhielten die Möglichkeit, einen Kommentar zur Situation der ORF-Freien im Standard zu verfassen. Diese „Randnotiz aus dem Prekariat“ (1) führte zu weiteren Artikeln und Aktionen, wie etwa der „Brösel-Aktion“ auf dem Küniglberg. (2) Zu den Treffen kamen nun nicht mehr zehn, sondern mehr als 150 Freie MitarbeiterInnen. Die Kommunikation unter den Freien MitarbeiterInnen wurde über soziale Netzwerke organisiert. Ein Blog (3) wurde ins Leben gerufen. Und es wurde eine klare Forderung formuliert: Die Honorare müssen erhöht werden.
Dass die schlechte Bezahlung von JournalistInnen in Österreich kein ORF-Phänomen ist, demonstrieren die vielen Podiumsdiskussionen, Unterschriftenlisten und Statements der letzten Zeit. Nicht zuletzt der offene Brief der Redaktion des paroli Magazins (4) zeigt, dass alle journalistischen Genres und alle Medien zu einem guten Teil von ihren „billigen“ Freien leben bzw. sich eine gerechte Entlohnung aller Inhalte nicht leisten wollen. Doch wie soll sich diese Situation ändern, wenn nicht einmal der ORF, der größte Medienanbieter Österreichs, eine Stiftung öffentlichen Rechts, bereit ist, als positives Vorbild voranzugehen und soziale Verantwortung für seine MitarbeiterInnen zu übernehmen? Warum sollen privatwirtschaftliche Unternehmen beginnen, ihre Freien zu versichern und fair zu entlohnen, wenn es der gebühren- und werbefinanzierte öffentlich-rechtliche Rundfunk in Österreich nicht tut?
Paroli bieten
Der offene Brief der paroli Redaktion bringt ein weiteres Problem auf den Punkt: Die Freien JournalistInnen haben keine Gewerkschaft, die sie vertritt. Sie haben keinen offiziellen Verein, keine Hierarchie, kein Führungskomitee. Das ist in Österreich anscheinend eine Bedingung, um als VerhandlungspartnerIn ernst genommen zu werden.
Die Freien MitarbeiterInnen des ORF sind eine heterogene Gruppe. Sie sind nicht straff organisiert. Niemand wird von einer Partei oder einer Gewerkschaft für eine Leitungsfunktion innerhalb der Gruppe vorgeschlagen. Niemand wird von seiner eigentlichen Beschäftigung freigestellt, um sich unserer Anliegen anzunehmen, Lobbying zu betreiben oder ein Netzwerk aufzubauen. Warum sollten wir das ändern? Weil unser Gesprächspartner, der ORF, das gerne hätte?
Wir sind eine heterogene Gruppe. Und wir sitzen am kürzeren Ast. Diese beiden Sätze kriegen wir in den letzten Monaten laufend zu hören. Warum? Weil ein öffentlich-rechtliches Unternehmen das Recht hat, die prekären Arbeitsbedingungen seiner MitarbeiterInnen zu ignorieren? Weil Solidarität und Fairness in einer „modernen“ Marktwirtschaft keinen Platz mehr haben? Weil wir naiverweise davon ausgehen, dass ein staatliches Unternehmen beim Umgang mit seinen MitarbeiterInnen ein Vorbildrolle einnehmen sollte?
Wir sind eine heterogene Gruppe. Und wir haben VertreterInnen. Sie vertreten die Freien MitarbeiterInnen bei den Honorarkatalogs-Verhandlungen mit der Geschäftsführung. Wir haben einen Betriebsrat, der unsere Anliegen immer wieder auf die Tagesordnung bringt. Wir haben Kollegen und Kolleginnen bei Fernsehen und Radio, die Termine mit der Programmdirektion, dem Personalchef oder der Hörfunkdirektion wahrnehmen. Wir haben eine klare Forderung: die Erhöhung der Honorare für Freie MitarbeiterInnen des ORF. Bei allen Zusammentreffen der ORF-Geschäftsführung mit den Freien MitarbeiterInnen hat es nie an Gesprächs- und VerhandlungspartnerInnen gemangelt. Das einzige, was fehlt, ist die Bereitschaft der ORF-Führung, die prekären Arbeits- und Lebensbedingungen der MitarbeiterInnen als Problem wahrzunehmen und umgehend zu ändern.
Heterogen, aber nicht gespalten
Wir sind eine heterogene Gruppe. Und das soll auch so bleiben, wenn es nach den Plänen des Hörfunkdirektors Karl Amon geht. Pauschalen oder Honorargarantien werden angeboten. Aber nicht für alle. Nur eine bestimmte Gruppe der Freien MitarbeiterInnen von Ö1 und FM4 soll diese bekommen. Nur wenige würden dafür ausgewählt und könnten natürlich jederzeit wieder rausfallen. Und an die weiterhin schlechte Bezahlung (sie ist immerhin garantiert) ist eine Reihe von Verpflichtungen geknüpft, wie das Einhalten von Arbeitsvorgaben und eine Meldepflicht für Nebenbeschäftigungen (der eigentlich nur Vollzeitangestellte unterliegen). Wir wollen keine Lösung für einige. Wir wollen eine faire Lösung für alle. Wir sind eine heterogene Gruppe, aber wir wollen uns nicht weiter auseinanderdividieren lassen.
Wir sind eine heterogene Gruppe. Aber wir haben ein Ziel: eine gerechte Entlohnung für unsere Arbeit. Auch wir wollen in eine sichere Zukunft blicken. Auch wir wollen Pläne machen können, nicht nur für die nächsten Monate, sondern die nächsten Jahre. „Eine Anstellungswelle ist in nächster Zeit nicht möglich!“, verlautet die Generaldirektion. Die haben wir auch nie gefordert. Wir sind bereit, weiter als Selbstständige zu arbeiten. Aber wir wollen diese Selbstständigkeit auch finanzieren können. Bei einem monatlichen Durchschnittsumsatz von 1.500 Euro brutto bei Vollzeitarbeit bleibt wenig Spielraum, für den Krankheitsfall oder „die Pension“ vorzusorgen.
Wir sind eine heterogene Gruppe. Und wir sind IdealistInnen. Die meisten der Freien MitarbeiterInnen des ORF machen diesen Job nicht, weil sie müssen. Sie tun ihre Arbeit gerne. Was dazu geführt hat, dass wir die schlechten Arbeitsbedingungen viel zu lange hingenommen haben. Seit Neuestem dürfen einige Freie mit ihrem Konterfei sogar Werbung für die „ausgezeichnete“ Qualität des ORF machen. Dass dem viel gelobten public value, der derzeit in Printanzeigen angepriesen wird, prekäre Arbeitsbedingungen zugrunde liegen, wird konsequent verschwiegen. „Stolz darf nicht die einzige Entlohnungsform sein“, (5) verkündete Hörfunkdirektor Karl Amon in einem Interview. Auch wir sind dieser Meinung. Sich für seinen Beruf, für das Programm, für die qualitative Aufbereitung von journalistischen Inhalten zu begeistern, darf nicht bedeuten, dass man sich deswegen mit einem Leben an der Armutsgrenze zufrieden geben muss.
ORF_FM ist die Interessenvertretung der Freien MitarbeiterInnen des ORF. Mehr Infos unter: www.orffm.wordpress.com
Fußnoten
(1) Der Standard; Printausgabe, 7./8.1.2012 (www.derstandard.at/1325485794297/Freie-ORF-Mitarbeiter-Randnotiz-aus-dem-Prekariat).
(2) Nur „Krümel“ für die freien ORF-Mitarbeiter; Aktionismus: ORF-Freie schenken Wrabetz „Torte“; ORF-Stiftungsräte mit Protestaktion begrüßt.
(5) Oliver Mark, derstandard.at, 21.02.2012 (www.derstandard.at/1329703216278/Karl-Amon-im-Interview-Stolz-darf-nicht-einzige-Entlohnungsform-sein)