Offener Brief der Kulturszene: Anti-Teuerungspaket jetzt gefordert

Seit Monaten wird die freie Kulturszene vertröstet, dass Maßnahmen zur Abfederung der explodierenden Kosten in Vorbereitung sind. In einem offenen Brief fordern IG Kultur und die Landesorganisationen der freien Kulturarbeit die Bundesregierung auf, endlich ein Anti-Teuerungsmaßnahmenpaket zu schnüren, das den Fortbestand gemeinnütziger Kulturarbeit absichert. 

zwei rote Sessel mit Schnee bedeckt

Sehr geehrter Herr Vizekanzler Kogler,
Sehr geehrter Herr Bundesminister Kocher,
Sehr geehrte Frau Staatssekretärin Mayer,

Veranstaltungen absagen, weil das Aufheizen der Räumlichkeiten nicht leistbar ist; Programme runterkürzen, um die explodierenden Energiekosten bewältigen zu können; entscheiden müssen, welche Kunst- und Kulturarbeitenden entlassen bzw. nicht mehr engagiert werden, um etablierte Kulturräume halten zu können.... Dies ist die Realität in der freien Kulturszene angesichts der Teuerungen.

Wir appellieren an Sie, ein Anti-Teuerungspaket zu schnüren, das die Situation der gemeinnützig agierenden Kulturvereine ernst nimmt und ihren Fortbestand, und damit auch ihre Leistungen für die Gesellschaft, absichert.

Wir wenden uns hierbei bewusst nicht nur an die Kulturverantwortlichen der Bundesregierung sondern auch an Sie, geschätzter Herr Bundesminister Kocher, da zentrale Eckpfeiler in ihrer Ressortzuständigkeit und Handlungskompetenz sind.

Konkret:

  1. Öffnung des Unternehmens-Energiekostenzuschuss für gemeinnützige Kulturvereine

    Die explodierenden Energiekosten betreffen alle: Privatpersonen, Unternehmen, Gebietskörperschaften, gemeinnützige Organisationen. Dennoch sind gemeinnützige Organisationen – bzw. präziser alle jene Tätigkeiten gemeinnütziger Organisationen, die der sog. „Liebhabereivermutung“ unterliegen – bislang die einzige Gruppe, die keine Unterstützung zur Abfederung der Energiekostensteigerungen vom Bund erhält.

    Doch gerade in der freien Kulturszene ist die gemeinnützige Rechtsform üblich. Alleine in der IG Kultur und ihren Landesorganisationen sind über 1.000 gemeinnützige Kulturvereine organisiert, die zeitgenössische Kunst und Kultur produzieren und vermitteln. Nur ein kleiner Bruchteil ihrer Aktivitäten, wie etwa ein Theater-Barbetrieb, erfüllt idR die Anforderungen, um beim EKZ eine Unterstützung beantragen zu können – obwohl die Kostensteigerungen alle Aktivitäten betreffen.

    Begründet liegt dies in der engen Unternehmensdefinition, die dem EKZ zugrunde gelegt wird. Diese führt dazu, dass Theaterhäuser, Galerien und Ausstellungshäuser, Musikveranstaltende, freie Medien uvm., die gemeinnützig arbeiten und in diesen Kerntätigkeiten der Liebhabereivermutung unterliegen, trotz teils fünfstelliger Energiekostensteigerungen keinen Zuschuss beantragen können, während gewinnorientiert-arbeitende Einrichtungen dies sehr wohl können.

    Wir appellieren an Sie, diesen exkludierenden Zugang zu ändern und eine Richtlinienänderung vorzunehmen, die den EKZ für gemeinnützige Kulturvereine öffnet. Dafür ist es unerlässlich, den Richtlinien – insbesondere jenen, die sich aktuell in Ausarbeitung befinden (Pauschalfördermodell, EKZ II) – eine andere Unternehmensdefinition zugrunde zu legen und den Verweis auf § 2 UStG zu streichen.
     

  2. Start des Energiekostenzuschuss-Pauschalfördermodells

    Seit September 2022 werden all jene, die die Zuschussuntergrenze des EKZ I nicht erreichen, vertröstet, dass für sie ein Pauschalfördermodell in Ausarbeitung ist. Trotz Ankündigung für Anfang Februar liegen die Richtlinien noch immer nicht vor, die Aufschluss geben würden, ob und wenn ja mit welcher Unterstützung gerechnet werden kann. 

    Auch hier ist eine entscheidende Frage, ob kleine Vereine und Solo-Selbständige, zu denen etwa Künstler*innen und Musiker*innen zählen, antragsberechtigt sind. Auch hier muss eine Unternehmensdefinition zugrunde gelegt werden, die gemeinnützige Kulturvereine nicht ausschließt (siehe oben). Angesichts der angekündigten Zuschusshöhe mag es sich für die Förderstelle um Kleinbeträge handeln, für die Betroffenen sind sie existenzerhaltend.

    Wir ersuchen um schnellstmögliche Finalisierung der Richtlinien für den Förderzeitraum 2022 und eine zügige, unbürokratische Umsetzung der Antragstellung und Auszahlung. Angesichts der weiterhin steigenden Energiekosten erwarten wir, dass das Pauschalfördermodell bis Ende 2023 verlängert wird und plädieren für eine Ersatzrate für das Jahr 2023 von 70%, analog zur angekündigten Unterstützung von Sportvereinen.
     

  3. Schaffung eines Teuerungs-Notfallfonds für Kunst und Kultur

    Als flankierende Maßnahme ist Vorsorge zu treffen für jene, für die die Teuerungen mangels anderweitiger Unterstützungsmöglichkeiten weiterhin eine akute Gefährdung darstellt.Hierzu zählen etwa Kultureinrichtungen mit nicht-valorisierten (Mehr-)Jahresförderungen oder Kulturvereine, die keine Umsätze haben, da sie ihr Kulturangebot kostenlos zur Verfügung stellen. 

    Wir empfehlen daher dringend, im Kulturressort einen Teuerungs-Notfallfonds für Kunst und Kultur zu schaffen, um Härtefälle aufzufangen. Gerne bringen wir unsere Expertise aus der Praxis bei der Entwicklung der Richtlinien ein.
     

  4. Jährliche Valorisierung der Kulturbudgets

    Die Teuerungen betreffen nicht nur die Energiekosten, sie ziehen sich durch sämtliche Ausgaben – von Personal- und Mietkosten bis zu Transport- und Druckkosten. Niemand geht davon aus, dass diese Kosten in Zukunft wieder sinken werden. Die Teuerungen sind gekommen, um zu bleiben.

    Ohne Valorisierung der Förderungen stirbt das vielfältige Kulturangebot einen langsamen Tod. Insbesondere in der freien Szene müssen viele bereits jetzt Kürzungen an Programm, Personal und Räumen erwägen, um die laufenden Kosten weiterhin stemmen zu können.

    Eine substantielle Erhöhung der Kulturbudgets, die zumindest die Teuerung ausgleicht, ist unerlässlich. Wir begrüßen die Anhebung des Kulturbudgets des Bundes zur Abfederung der Teuerungen als ersten Schritt. 

    Wir fordern alle fördergebenden Stellen auf – insbesondere Bundesländer und Gemeinden – ihre Kulturbudgets jetzt substantiell zu erhöhen. Und wir fordern grundsätzlich eine jährliche Valorisierung der Kulturbudgets, wie auch in anderen Bereichen, etwa bei der Parteienförderung, Usus.
     

  5. Runder Tisch mit den Vertreter*innen der Szene

    Die Sachlagen sind komplex, die Probleme vielschichtig, die Phrase „multiple Krisen“ fast schon ein geflügeltes Wort. Um den Informationsaustausch zu erleichtern und praxisrelevante Lösungen im Dialog mit der Politik zu finden, möchten wir einen Runden Tisch mit Vertretungen aus Kunst und Kultur vorschlagen. Das Format hat sich während der COVID-19 Krise bewährt. Es ist geeignet, auch bei Bewältigung der Energie- und Teuerungskrise zu helfen. Wir stehen für Gespräche zur Verfügung und unterstützen gerne bei den Vorbereitungen.

 

​​​​In Erwartung ihrer Rückmeldung. 
Hochachtungsvoll,


IG Kultur Österreich

Dachverband Salzburger Kulturstätten

IG KIKK – Interessensgemeinschaft der Kulturinitiativen in Kärnten/Koroška

IG Kultur Burgenland

IG Kultur Steiermark

IG Kultur Vorarlberg

IG Kultur Wien

KUPF OÖ – Kulturplattform Oberösterreich

TKI – Tiroler Kulturinitiativen
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Hintergrundinformation:

Die IG Kultur Österreich und ihre Landesorganisationen vertreten gemeinsam an die 1.000 gemeinnützig arbeitende Kulturvereine, die selbstbestimmt und kontinuierlich im Bereich der zeitgenössischen Kulturvermittlung und Produktion arbeiten.

Gemeinnützige Kulturvereine arbeiten grundsätzlich kostendeckend und haben bzw. können auch keine Rücklagen bilden. Relevante Veränderungen in der Kostenstruktur führen daher sehr schnell zu konkreten Verlusten (Entlassung/Nicht-Engagement von Kunst- und Kulturarbeitenden, Kürzung der Programme/Absage von Veranstaltungen, Auflösung von Räumen,...) die nicht oder kaum von Reserven aufgefangen werden können.

Preiserhöhungen sind schwer weiter zu geben, weil die Haupteinnahmequellen idR öffentliche Förderungen und Veranstaltungserlöse sind. Förderverträge (v.a. mehrjährige, nicht valorisierte Fördervereinbarungen) lassen sich unter dem Jahr idR nicht erhöhen. Auch eine Steigerung der Ticketpreise ist nicht geeignet, die entstandenen Kosten zu decken (in der Praxis würde dies oftmals Verdoppelung bis Verdreifachung bedeuten), da eine derartige Erhöhung angesichts der allgemeinen Teuerungen zu einem weiteren Publikumsrückgang führen würde. Zu bedenken sind auch die gesellschaftspolitischen Konsequenzen dieses Ansatzes, der die Teilnahme am Kunst- und Kulturleben zu einem Privileg der Besserverdienenden machen würde. Die Erhöhung anderer Einnahmequellen (z.B. Vermietungen, Mitgliedschaften) ist meist gleichbedeutend mit einer Weitergabe des Kostendrucks innerhalb des Kunst- und Kulturfeldes.