Mikrokredite, Homoehe und Cyborg-Vehikel in einer Brave New World
Wie auch im Bereich der Mikrokredite deutlich wird, wird nicht die Institution transformiert, sondern die kleinsten Zahnräder, sie werden zu noch nützlicheren Mitgliedern der (neoliberalen) Gemeinschaft gemacht.
Im Folgenden möchte ich ein paar persönliche Überlegungen zu gegenwärtigen, neoliberalen Entwicklungen in Ökonomie und Gesellschaftspolitik aneinander reihen. Exemplarische Bezugspunkte sollen hierbei das entwicklungsökonomische Konzept der Mikrokredite und die bürger/innen/rechtliche Gleichstellungsstrategien von Lesben und Schwulen sein. Der Horizont meiner Betrachtungen ist die französische Vision eines neuen Europas. Des Weiteren stellt Donna Haraway mir als Fahrzeug ihren Prototypen des neuen Menschen, den Cyborg, zur Verfügung, mit dem ich mein Denken nun mal abfahren möchte: Startpunkt für meine Überlegungen ist der brandneue EuroWorld 2015 Report. In sechsmonatiger (heldenhafter?) Arbeit hat der Beraterstab des französischen Präsidenten und EU Präsidentschaftsvorsitzenden Sarkozy einen 200 Seiten dicken Bericht erstellt, der die auslaufende Wirtschaftspolitik der EU (den Lissabon Prozess) erneuern soll.
Die Kernbotschaft des französischen Berichtes ruft Europa (eindringlich?) auf, „im Rennen zu bleiben bezüglich Reichtum und internationalem Einfluss, in einer Welt, deren Schicksal es zu werden droht, von einem amerikanisch-asiatischen Duopol dominiert zu werden. (...) Wir sollten die Geschwindigkeit deutlich erhöhen und eine globale Perspektive entwickeln, sollte die EU hierin versagen, wird sie bis 2020 aus dem Rennen geschieden sein. (...) [In EuroWelt 2015] ist die französische Vision eines Europas beschrieben, und nur wenn Europa mit einer Stimme spricht (...) und mit echter Entscheidungsmacht, dann kann es ein wahrer Player in der globalen Ökonomie bleiben“. (EuroWorld 2015, Ex. Sum. S. 2., EuroWorld 2015, S. 66 und 80, eigene Übersetzung)i Wichtigstes Ziel ist die Sicherung der europäischen Ressourcen (Energie, Rohstoffe, Nahrungsmittel und Humankapital). Eine straffe (männliche? butchige?) Außenpolitik soll die (weibische? tuntige?) Innenpolitik der Lissabon Agenda, wo mit Konsensbildung und Von-Einander-Lernen Zeit verplempert wird, aufpeppen. Hier heißt es beispielsweise: „Aufgrund ihres hochpolitischen Charakters soll die Implementierung einer Energiediplomatik (...) dazu führen, dass die politischen Bindungen und Europas politische, ökonomische und sogar militärische Präsenz in ‚Diversifizierungsländern’ (Türkei, Zentralasien, Nordafrika) gestärkt werden.“ (Euroworld 2015, S. 128, e.Ü.ii) Arme (=konsumungeeignete), ungebildete Bevölkerungsschichten sind ein Problem für den Wirtschaftsstandort, „um das potenzielle Dilemma zwischen Produktivität und Beschäftigung zu lösen, haben einige Leute den Bedarf an stark gestiegenen Investitionen in Humankapital (Bildung und Ausbildung) und Verbesserungen ihrer Qualität betont. Dieser Ansatz erinnert uns speziell daran, wie wir Transitionsperioden managen (und die Horden von relativ unqualifizierten oder inadäquat qualifizierten Arbeitern)“. (Euroworld 2015, S. 30, Hervorhebung durch die Verfasserin, e.Ü.)iii
Diese wenigen Zitate (die gemeinsam mit 150 Seiten des Berichtes nach zweiwöchigem Kurzauftritt aus der Online-Version verschwanden, der Cyborg hat noch lange nach ihnen gesucht) sollten vorab ein bisschen die Kulisse machen, für einen der konkreten Pläne aus dem Bericht: Mikrokredite als Instrument auch nach Europa zu holen. Mikrokredite sind sehr kleine Kreditsummen, die in Entwicklungsländern von meist speziellen Banken auch an nicht „kreditwürdige“ Menschen vergeben werden. EuroWorld 2015 ist auch hier (dankenswert? gnadenlos?) ehrlich: „Mikrokredite repräsentieren ein Instrument sozialer Kohäsion, da sie helfen, Outcasts in Schöpfer von Reichtum zu verwandeln. Sie sind auch eine ökonomische Nische, die Wachstum und Jobs schaffen. Sie bieten Bankfinanzierungen für Projekte, die bislang keinen Zugang dazu hatten. Gegenwärtig sind sie in Europa unterentwickelt. Die Europäische Kommission hat im November 2007 [begonnen über Mikrokredite zu diskutieren], die Französische Präsidentschaft könnte dies zu einer ihrer politischen Prioritäten machen, da dies ein Zeitpunkt ist, wo das nationale Wachstum wiederbelebt werden soll.“ (EuroWorld 2015, S. 70, e.Ü.)iv Der magische Moment im Instrument Mikrokredit ist die beschriebene Transformation von Outcasts, nutzlosen Menschen am Rande der Existenz, in Schöpfer von Reichtum. Mikrokredite verwandeln arme Menschen in Unternehmerinnen, (fast ausschließlich Frauen nehmen diese Kredite auf) die sich selber (und mit Gott?) helfen sollen, und die – hier ist das zweite magische Moment – die Kredite mit Kreditzinsen, die oft zwischen 25 und 50% ausmachen, mit 95% Wahrscheinlichkeit an die Banken zurückzahlen und bezahlen! Ein neoklassischer Moment zum Feiern! Daher haben auch Muhammad Yunus und die Grameen Bank 2006 den Friedensnobelpreis erhalten, 2008 wurde ein erstes Pilotprojekt von Grameen in New Yorks Stadtteil Queens gestartet.
Doch kritische Cyborgs, Geister und Gespenster wie Feministinnen bieten eine ganze Latte von Kritikpunkten auf, um diese schönen Momente zu verderben: Sie meinen, dass bislang keine Statistik der Welt (und -bank) belegen konnte, dass die Kredite Armut auch nur kurzfristig mildern; dass die Kredite womöglich nur reiche Geldverleiher reicher machen. Frauen, die Kredite aufnehmen, verwenden diese meist, um ein Kleinstunternehmen im informellen Sektor neben der ohnehin zu leistenden Reproduktions- und Familienarbeit zu gründen (haben fast immer Familie oder irgendwie so was zu tun?), das bedeutet: kein Arbeitsschutz (keine sicheren Arbeitsplätze, keine geregelten Arbeitszeiten, kein Verbot von Kinderarbeit, keine Gewerkschaften ...), keine Kranken-, Pensions-, Unfall-, Arbeitslosenversicherung, etc. Als Sicherheiten für die Banken (jemand braucht hier schließlich Sicherheit?) dienen Lohnkreise, verliehen wird immer an eine Gruppe von Frauen, die füreinander bürgen, kann eine nicht bezahlen, müssen die anderen für sie aufkommen oder keine der Gruppe erhält mehr einen Kredit. Privatsphäre gibt es nicht für die Kreditnehmerinnen, die Abwicklung und Kontrolle der Ratenzahlungen erfolgt auf öffentlichen Plätzen mit Einsicht für alle; das soziale Leben wird von Grameens „16 Entscheidungen“, die Kreditnehmerinnen, deren Familie, oft ganze Dörfer betreffen, bestimmt. (Die vier Grundprinzipien sind: Disziplin, Einheit, Mut und harte Arbeit.)
Für mich (und für mich?) interessant ist das völlig antagonistische Design dieses Instruments: Beruhend auf einem starren Geschlechteressenzialismus, der auf den typisch „weiblichen“ Tugenden Verlässlichkeit und soziale Fähigkeit aufbaut, wird der Mythos des Individualismus, als einzigem Quell für Erfolg und Reichtum transportiert. Die Verantwortlichkeiten für strukturelle Probleme, die aus dem neoliberalen Abschöpfen von Gewinnen und Werten aus der Ökonomie entstehen (Verlust von Landrechten, Privatisierung von essenziellen öffentlichen Einrichtungen, Kürzung von öffentlichen Gesundheits- und Bildungsausgaben, etc.), können weiterhin abgestritten bzw. unbeleuchtet bleiben. Die vorgeschlagene Lösung ist, dass arme Menschen, Outcasts, sich ebenso in Unternehmer verwandeln sollen, individuelle Erfolgsstories (bunte Bilder von lachenden, armen Frauen, die nun als Chefinnen fünf Näherinnen im Hinterhof beschäftigen können?) sind überzeugender als Verweise auf makroökonomische Versäumnisse.
Das gleiche Problem mit dem neoliberal transformierten Individuum entsteht meines Erachtens nach im Bezug auf die Forderung nach rechtlicher Gleichstellung von Lesben und Schwulen (und TransGenders? und Others?) im Eherecht. Ist es für ein Individuum, bzw. ein Paar verständlicherweise aus Effizienzgründen bzw. aus Existenzgründen erstrebenwert, den Schutz einer Ehe mit einer zweiten Person anzustreben, (Versicherungsrecht, Arbeitsrecht, Mietrecht, Besuchsrecht, Erbrecht, Aufenthaltsrecht...) ist auch hier der Blick auf bestimmte, gesamtgesellschaftliche Prozesse und Institutionen einerseits verstellt und andererseits individuell oft wenig hilfreich. Die Ehe ist eine Institution, die in sich Herrschaftsverhältnisse eines Staatsbürgerschaftsrechtes transportiert, dass per se frauenfeindlich und auch Homosexualitätsfeindlich ist (und für die Mehrheit überhaupt feindlich?). Der Staatsbürger wurde als Person konstruiert, die nur dann vollwertig ist, wenn er einerseits über eine (Ehe-)frau über Familien- und Reproduktionsarbeit verfügen kann und diese auch den ehelichen Pflichten nachkommt (Klapeer 2009). Wie schwierig (und empowering?) es war, diese Art der Konstruktion zumindest im Bereich des Wahlrechtes auszuweiten, ist Historie. Die Ausweitung der Ehe auf Lesben und Schwule steht antagonistisch zum Konzept der Staatsbürgerschaft und ist wie viele meinen, möglicherweise deshalb revolutionär, verwegen und transformativ. Wahrscheinlich scheint jedoch das Gegenteil. Wie auch im Bereich der Mikrokredite deutlich wird, wird nicht die Institution transformiert, sondern die kleinsten Zahnräder, sie werden zu noch nützlicheren Mitgliedern der (neoliberalen) Gemeinschaft gemacht. Der verheiratete Schwule, die geehelichte Lesbe (oder die kreditgestützte Unternehmerin) stützen das (bröckelnde?) System, wenn nicht vielmehr die Lücke für Alternativen genutzt werden kann, die ihre ungewollte, unbequeme, (im neoliberalen Sinne) nicht effizient genutzte, Existenz, bietet. (Widerstand gegen die Transformation?)
Der Cyborg aber ist ein hässliches Wesen, eine Chimäre, ein Beispiel für Transformationen der anderen Art: In feministischen Utopien, statt Europäischen Dystopien verwandeln sich Menschen anders: entlang einer Achse machtvoller untreuer Heteroglossia. Die neolithische Revolution wird rückgängig gemacht, die Ursprünge westlicher Zivilisation werden in ihrer Plausibilität subvertiert. Anstatt nahrungsmittelvernichtendem Biodiesel wird eine Technologie entwickelt, die auf einer verrückten Göttinnen-Planeten-Taschendiebinnen-Alter-Frauen Basis arbeitet. Es ist die Imagination einer feministischen Diktion, die Angst in die Schaltkreise der Supersavers der neuen Rechten einschleust. Es bedeutet beides, das Bauen und Zerstören von Maschinen, Identitäten Kategorien, Beziehungen und (Welt)Raumgeschichten. (nach Haraway 1991, e.Ü.)
COHEN-TANUGI, LAURENT (2008): EuroWorld 2015: A European Strategy for Globalisation, Report for the French presidency of the Council of the European Union. English version: July 2008 (French version in April 2008), in: EuroWorld (15. September 2008 bzw. seit 26. September nur mehr fragmentarisch online.)
HARAWAY, DONNA (1991): A Cyborg Manifesto: Science, Technology, and Socialist-Feminism in the Late Twentieth Century, in Simians, Cyborgs and Women: The Reinvention of Nature. New York: Routledge, S.149-181, in: Cyborg Manifest (30. September 2008)
KLAPEER, CHRISTINE (2009): Lesbische Staatsbürgerinnenschaft.
Karin Schönpflug ist Universitätslektorin für Ökonomie, Feministische Ökonomie, Feminismus und Utopie an Universitäten in Wien, Graz, Portland (Maine), Klagenfurt. Mitarbeiterin des IHS Wien, des Finanzministeriums und des Lila Tipp, Lesbenberatung in der Rosa Lila Villa.