Kultur – ein Nebenschauplatz in der neuen EU-Kommission?

Zukünftig soll Glenn Micallef als "EU-Kommissar für Generationengerechtigkeit, Jugend, Kultur und Sport" fungieren. Das Portfolio verspricht nur bedingt Einfluss, da es weder vergemeinschaftete Kompetenzen noch große Budgets enthält. Auch sein Auftrag von Ursula von der Leyen gibt Anlass zur Sorge, fokussiert er doch auf Kultur als identitätsstiftender und ökonomischer Faktor und erwähnt die EU-Kulturförderung mit keinem Wort. Eine kritische Einschätzung.

Am 17. September 2024 hat Ursula von der Leyen, Präsidentin der Europäischen Kommission, die neue Zusammensetzung und Kompetenzverteilung in der Europäischen Kommission für die nächsten fünf Jahre offiziell vorgestellt.

Die Kulturagenden sollen zukünftig von Glenn Micallef (35, Arbeiterpartei, Malta) in der Kommission vertreten werden, gemeinsam mit den Themen Generationengerechtigkeit, Jugend und Sport. Vor seiner Nominierung fungierte er als Leiter des Sekretariats sowie europapolitischer Berater des maltesischen Premierministers Robert Abela. Dass er als jüngster Kommissar im neuen Kollegium die Agenden Jugend und Generationengerechtigkeit übertragen bekommen soll, überrascht nur bedingt. Die Paarung mit Kultur und Sport hingegen ist Auslegungssache. An Kulturbezug aus seinem bisherigen Karriereweg ist wenig bekannt, in seiner Funktion als Stabschef soll er an der Vorbereitung der „Charter on the Status of the Artist“ sowie Steuererleichterungen für Künstler*innen in Malta beteiligt gewesen sein soll. Böse Zungen behaupten hingegen, Malta wäre mit diesem Portfolio abgestraft worden, da Malta entgegen dem Wunsch von Ursula von der Leyen keine Frau nominiert hätte. So war Glenn Micallef auch der letzte EU-Kommissar, der bei der Präsentation des neuen Kollegiums von der Kommissionspräsidentin vorgestellt wurde, versehen mit dem Hinweis, wie wichtig Generationengerechtigkeit als Querschnittsthema ist.

In der vorangegangen Kommission waren die Kulturagenden mit Innovation, Forschung, Bildung und Jugend verknüpft, unter der Leitung von EU-Kommissarin Mariya Gabriel, später dann Iliana Ivanova aus Bulgarien. – ein recht einflussreiches Portfolio, welchem unter anderem das mit über 90 Milliarden Euro dotierte Förderprogramm „Horizon Europe“ unterstellt war. Die Herauslösung der Kulturagenden aus diesem großen Portfolio eröffnet einerseits die Chance, mehr Fokus auf die Kulturagenden legen zu können, andererseits läuft Kultur Gefahr zum Nebenschauplatz zu werden.

 

Der Auftrag an den neuen EU-Kulturkommission

Aufschlussreich ist die Lektüre des „Mission Statements“ an Glenn Micaleff, in welchem Ursula von der Leyen den spezifischen Arbeitsauftrag und die Prioritäten für den designierten EU-Kommissar darlegt. Im Kulturbereich werden drei Prioritäten definiert:

  1. Die Entwicklung eines neuen „Kulturkompass“ als strategischer Rahmen, um die verschiedenen Dimensionen von Kultur „anzuleiten und nutzbar zu machen“. Es brauche einen strategischeren Zugang zu Kultur, um diese in andere politische Zielsetzungen einzubetten, so das Mission Statement an anderer Stelle. Interpretiert als systematisches Mitdenken und Berücksichtigen von Kultur in anderen Politikfeldern ist dieses Ziel sehr zu begrüßen; Problematisch wird es hingegen, wenn Kultur ausschließlich instrumentell auf den Beitrag, den der Sektor zur Erreichung anderer Zielsetzungen wie Wettbewerbsfähigkeit und Wirtschaftswachstum leisten kann, reduziert wird.
     
  2. Als Teil dieses „Kulturkompasses“ soll ein Fokus auf „der Verbesserung der Arbeitsbedingungen von Künstler*innen und Kulturschaffenden liegen und der Erschließung des Wettbewerbspotenzials der Kultur- und Kreativwirtschaft“ liegen. Zu Ersterem – Verbesserung der Arbeitsbedingungen – liegt ein klarer Handlungsauftrag seitens des Europäischen Parlaments vor, welcher auch für die neue Kommission Gültigkeit hat. Letzteres – Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit – stellt für die nächste Kommission eine übergeordnete strategische Zielsetzung dar. In dem Zusammenhang wird auch die Entwicklung einer KI Strategie für die Kultur- und Kreativwirtschaft angeführt.
     
  3. Schließlich wird als dritte Priorität die Entwicklung von Vorschlägen, um das kulturelle Erbe Europas insbesondere für die jüngere Generation zugänglicher zu machen, genannt. Dieses im Vergleich sehr präzise Ziel könnte auf die im Vorfeld der EU-Wahlen von einigen Parteien zirkulierte Idee eines „Europäischen KulturPass“ – ähnlich dem deutschen Modell – anspielen.

Kritisch interpretiert lässt sich der Auftrag an den neuen EU-Kommissar somit auf die Stärkung der Kultur- und Kreativwirtschaft sowie der Zugänglichkeit des Kulturerbes für junge Menschen (für „unsere gemeinsame Europäische Identität und Werte“) zuspitzen. Die Bedeutung von Kunst und Kultur jenseits identitätsstiftender und ökonomischen Funktionen – Kultur als Menschenrecht, als demokratiepolitischer Faktor, als Partizipations- und Aushandlungsraum, als Faktor für Wohlbefinden und Gesundheit, als Gemeinschafts-Kit und Lebensalltag, etc. – findet keine Erwähnung. Wohlmeinend interpretiert kann all dies natürlich in das Vorhaben, die verschiedenen Dimensionen von Kultur durch einen strategischen Rahmen anzuleiten und nutzbar zu machen, hineingelesen werden. Immerhin ist ein „Mission Statement“ ein kurzes, bündiges Dokument... Es bleibt somit abzuwarten, wie Glenn Micaleff den Auftrag mit Leben füllt.

 

Die Zukunft der EU-Kulturfinanzierung: eine Leerstelle

Besonders auffallend ist, dass die Kulturförderung durch die Europäische Union, insbesondere das EU-Förderprogramm „Creative Europe“, im „Mission Statement“ an den designierten EU-Kulturkommissar mit keinem Wort erwähnt wird. In den Handlungsaufträgen an andere designierte EU-Kommissar*innen werden bestehende Förderprogramme wie „Erasmus+“ und „Horizon Europe“ hingegen explizit betont. Auch im Auftrag an die letzte EU-Kommissarin für Kultur wurde das „Creative Europe“-Programm zumindest erwähnt.

Dies ist umso bedeutender, als eine der zentralen Aufgaben der neuen Kommission die Verhandlung des zukünftigen mehrjährigen Finanzrahmen der EU sein wird, der sogn. Multiannual Financial Framework 2028-2034. Aktuell ist das EU-Budget entlang zentraler Programme strukturiert. Zukünftig, so der Plan von Ursula von der Leyen, soll das EU-Budget nicht entlang von Programmen sondern politischen Zielsetzungen strukturiert sein (z.B. Investitionsfonds für nationale Reformen, EU-Wettbewerbsfähigkeitsfonds, Außenbeziehungen). Noch ist all dies in Verhandlung und offen, welche Auswirkungen die neue Budgetstrukturierung für die zukünftige EU-Kulturförderung haben wird. Dass die EU-Kulturförderung mit keinem Wort Eingang in den Auftrag an den designierten EU-Kommissar gefunden hat, gibt Anlass zur Sorge. Dass Glenn Micaleff Erfahrung in der Verhandlung des mehrjährigen EU-Finanzrahmens hat, wenn auch aus der Position als Vertreter es EU-Mitgliedstaat (und für Malta einen Rekordbetrag an EU-Mitteln sicherte), stimmt zuversichtlicher – so er sich für die Agenden der Kultur ebenso leidenschaftlich einsetzen wird.