Hunde, die bellen, ... Keine Geschichten über Migration!
Cafe Europa vs. Dog eat Dog erzählt vom Türsteher Menem, der sein Leben an der Schwelle eines Nachtclubs eingerichtet hat. Die Schwelle beschreibt paradigmatisch sein ganzes Leben: nicht drinnen und nicht draußen, die Stirn nach außen, der Arsch nach innen.
Das Ballhaus Naunynstraße in Berlin Kreuzberg hat nach einer Umbauphase mit einem jungen postmigrantischen Theaterfestival mit dem Titel Dogland wieder eröffnet. Damit entsteht in Berlin erstmals eine Bühne, die sich als Plattform für migrantische Künstler_innen zweiter und dritter Generation begreift. Shermin Langhoff, die künstlerische Leiterin des Hauses, will in sechs Premieren der Frage nachgehen, wie sich migrantische und entgrenzte Geschichten erzählen lassen. Langhoff, die bereits als viel versprechende neue Intendantin Berlins gefeiert wird, hat zuletzt als Kuratorin von Beyond Belonging am HAU (Hebbel am Ufer) auf sich aufmerksam gemacht.
Postmigrantische Geschichten? Eine solche hat Mehdi Moinzadeh aus zwei Stücken der Heimattrilogie von Nuran David Calis montiert. Cafe Europa vs. Dog eat Dog erzählt vom Türsteher Menem, der sein Leben an der Schwelle eines Nachtclubs eingerichtet hat. Die Schwelle beschreibt paradigmatisch sein ganzes Leben: nicht drinnen und nicht draußen, die Stirn nach außen, der Arsch nach innen. Rund um den Protagonisten entwickelt sich eine Reihe von Erzählungen, die einen Einblick in die Lebenswirklichkeit von migrantischen Jugendlichen geben sollen. Ihre Identitätssuche kreist um unerfüllte Träume, berufliche Ausweglosigkeit, Verwicklungen in illegale Geschäfte und endet mit Mord. Das ist ganz klar die angenommene Wirklichkeit, die ihre Entsprechung auf der Bühne finden soll.
Im Programmheft findet sich eine passende Einleitung zur Thematik, da ist dem Stück ein Absatz aus Kafkas „Vor dem Gesetz“ vorangestellt. Kafkas Erzählung hat erneut Popularität erlangt, weil Giorgio Agamben sie in „Homo Sacer“ als Beispiel heranzieht, um die reine Form des Gesetzes zu definieren, die er später Ausnahmezustand nennt. Ein Mann vom Lande steht vor den Toren des Gesetzes und bittet um Einlass, aber der Türhüter kann ihm den Einlass nicht gewähren. Es handelt sich hier nicht um ein einfaches Verbot, das der Türhüter ausspricht, weil die Tür zum Gesetz bereits offen steht. Nichts hindert den Mann vom Lande einzutreten, aber gerade in dieser Unmöglichkeit in das Offene einzutreten, manifestiert sich die höchste Form des Gesetzes, die einen Zutritt unmöglich macht: Das Gesetz gilt, ohne etwas vorzuschreiben, es ist reine Geltung ohne Bedeutung. Der Mann vom Lande kann in das Offene nicht eintreten, weil er sich bereits dort befindet. Das Offene wird zum Ort der Unbeweglichkeit.
In Calis Stück ist Menem ein Gefangener der Unentscheidbarkeit des Drinnen oder Draußen, er lebt im ständigen Ausnahmezustand, in der Unmöglichkeit der Bewegung. Die Schwelle, an der er sich befindet, ist jene Schwelle, anhand derer das System von Innen und Außen ständig neu definiert wird. Es ist dieses Leben des Dazwischen, das für die Aufrechterhaltung des Nationalstaates mit seinen demokratischen Grundprinzipien notwendig ist. Nur durch die Schaffung von Zonen deregulierten Lebens (in denen Überleben nur durch Selbstorganisation möglich ist) kann ein Staat seine Bürger_innen ernennen, die mit Rechten und Pflichten ausgestattet werden. Der Ausschluss von Migrant_innen ermöglicht erst die Konstituierung einer demokratischen Republik. Gerade weil dieser Ausschluss so notwendig ist, ist die Anwesenheit von Migrant_innen ein Moment ständiger Irritation, der die Mehrheitsgesellschaft an die Bedingungen ihrer eigenen (politischen) Existenz erinnert. Migrant_innen stehen durch mangelndes Wahlrecht bzw. fehlende Teilhabe am politischen Leben der Staatsgewalt direkt gegenüber, das demokratische System von Repräsentation ist an dieser Stelle eindeutig außer Kraft gesetzt.
Die Frage ist daher nicht wie, sondern WARUM migrantische Geschichten auf einer Theaterbühne repräsentiert werden sollten? Zu welchem Zweck wird eine kulturpolitische Maßnahme gesetzt, die den gesellschaftlichen Umständen genau entgegengesetzt ist?
Im weiteren Verlauf von Cafe Europa vs. Dog eat Dog gipfelt der Repräsentationsanspruch in einem Moment der Identifikation mit den Figuren, der jeden Raum für Kritik völlig unmöglich macht. Nachdem man ob der tragischen Schicksale der Jugendlichen gelacht und geweint hat, ist man als Zuschauer_in in eine Wirklichkeit entlassen, in der man die Verhältnisse hinnimmt, wie sie sind. Gereinigt vom Bedürfnis nach politischer Veränderung ist das Publikum kein aktiver Handlungsträger mehr, der die gezeigte Wirklichkeit ändern könnte. Es zeigt sich, dass Repräsentation ein klar definiertes politisches Instrument zur Wahrung hegemonialer Interessen ist.
Nuran David Calis ist das Paradebeispiel einer Integrationsfigur, die eingesetzt wird, um durch Migration entstandene Konfliktherde zu besänftigen. Seine Präsenz in der Öffentlichkeit ist nur durch die deutsche Integrationsvereinbarung möglich, die Migrant_innen kulturell auf Linie bringen soll. Gemeint ist damit eine Eingliederung in Bedingungen, die vorab definiert wurden, damit die Unmöglichkeit des Drinnen oder Draußen weiter verschärft wird. Der deutsche Staat ermöglicht einigen Auserwählten den Zutritt zu Positionen in der Kulturlandschaft, damit die Schranke zwischen migrantischen Lebenswelten und jenen der Mehrheitsgesellschaft nicht mehr unüberwindbar erscheint. Aber dieser eingeschränkte Zutritt stellt das System nicht in Frage, sondern stabilisiert es, indem es Intellektuelle als Sprecher der Marginalisierten einsetzt.
Gerade weil Migrant_innen nicht zugehört wird, ist das Bedürfnis nach dem Darstellen der eigenen Geschichte groß. Aber dazu muss es einen Akt des Zuhörens geben, der die Sprechenden ermächtigt zu sprechen. Und genau hier liegt eine besondere Gefahrenquelle: Wenn eine herrschende Klasse zuhört, dann verlangt sie das zu hören, was sie hören will. Sie fordert die Sprecher_innen zum Sprechen auf, aber in dieser Aufforderung ist das Erzählen einer Geschichte bereits vorab unmöglich gemacht worden, die Sprecher_innen sind zum Schweigen gebracht worden und werden dafür belohnt, indem ihnen Anerkennung geschenkt wird.
Als migrantische Künstlerin erwarte ich von anderen migrantischen Künstler_innen, den Privilegien zu widerstehen, die ihnen durch das Gewähren einer solchen Sprechposition erteilt werden. Der Sprecher der Marginalisierten zu werden bedeutet, Herrschaftsverhältnisse durch Erzeugen von Widersprüchlichkeiten und Anforderungen, die nicht gleichzeitig erfüllt werden können, zu stabilisieren. Wenn ein Nachwuchsdramatiker seine eigene erfolgreiche Befreiungsgeschichte erzählt (Calis war selbst Türsteher, bevor er für seine Stücke Honorare bekam), suggeriert er damit die Möglichkeit eines sozialen Aufstiegs, die de facto nicht gegeben ist. Jugendliche mit migrantischer Herkunft haben in der Regel weitaus schlechtere Schulabschlüsse, weniger Chancen auf einen Ausbildungsplatz und weniger Zugang zu Hochschulen als Deutsche. Anstatt diese Wirklichkeit zu benennen, spricht Calis in der Art und Weise, wie es von hegemonialer Seite gehört werden will, seine Geschichte wird zur „pulsierenden Nachtklubballade, befeuert von Beats und Schlägen“[1] und erinnert dabei an Fatih Akins Filme, die einen ähnlichen Zweck erfüllen. Übrigens hat letzterer die Schirmherrschaft für das Theaterfestival übernommen.
Das kann, muss aber nicht so sein. Es existiert bereits eine Reihe von künstlerischen Arbeiten, die den Anspruch auf Repräsentation zurückweisen und den Moment der Irritation, der durch die Anwesenheit von Migrant_innen in Deutschland erzeugt wird, künstlerisch umsetzen. Solche Arbeiten setzen verstärkt auf den Effekt der künstlerischen Interventionen und stellen damit Realitäten in Frage, anstatt sie zu beschreiben. Die performativen Eingriffe in öffentliche Räume von Kanak Attack haben beispielsweise mit einer einfachen, fast banalen Umkehrung der Verhältnisse deutsche Normalität provoziert: Auf den Strassen Kölns wurden deutsche Passanten nach ihrem Befinden im weißen Ghetto gefragt. Dieses Umbenennen hat deutsche Realität hinterfragt und ein Feld eröffnet, in dem Machtverhältnisse neu verhandelt werden können. Davon sollte man sich freilich keine dauerhaften Lösungen versprechen, aber liegt nicht genau darin das Potenzial für politische Veränderung? Warum sollte man als Künstler_in darauf verzichten?
Die Arbeiten von Kanak Attack stehen in einer Tradition künstlerischer Brüche mit bürgerlicher Repräsentationslogik. Gerade weil solche Brüche unerwünscht sind, gibt es immer mehr Öffentlichkeit für Produktionen, die keine politische Veränderung provozieren, während die anderen sich ihre Präsenz in der Öffentlichkeit erkämpfen müssen. Die Errichtung einer Kiezbühne in Kreuzberg für postmigrantische Geschichten ist mit Sicherheit ein Baustein deutscher Integrationspolitik. Wahrscheinlich ist es auch kein Zufall, dass ausgerechnet in Berlin ein solcher Ort entsteht (man muss bedenken, dass es dafür im gesamten deutschsprachigen Raum keine Konkurrenz gibt!). Berlin ist ein Provisorium der Weltgeschichte[2], durch die Errichtung der Mauer konnte hier über Jahrzehnte hinweg keine Normalität hergestellt werden. Berlin war quasi immer schon in einem Ausnahmezustand. Um diesen zu beseitigen, wirken seit 1989 politische Kräfte immer erfolgreicher daran, die Stadt repräsentativ zu machen. Integration ist eine Maßnahme, um potenzielle soziale Konflikte im Keim zu ersticken.
Der mittlerweile durch diese Politik verursachte herrschende Mangel an Räumen für kritische Intervention erfordert es, bestehende Räume zu erobern und mit Inhalten zu füllen, die den Anforderungen staatlicher Repräsentationslogik nicht entsprechen. In der Gegenwart ist es nicht mehr möglich, Absagen an Institutionen, Förderstellen etc. zu erteilen, weil nahezu jeder Raum durch hegemoniale Interessen zersetzt ist. Ich halte es daher für eine bessere Strategie, mit einer klaren politischen Position in genau diese Strukturen einzugreifen und immer wieder den Konflikt zu provozieren. Aus dieser Perspektive ist auch das Ballhaus Naunynstraße nicht per se ein durch Integrationsbestrebungen entpolitisierter Ort, der einfach ad acta gelegt werden könnte. Er sollte ganz im Gegenteil genutzt werden, damit dort in Zukunft etwas geschieht, anstatt einfach gezeigt zu werden.
1 Patrick Wildermann (2008): „Aus der dritten Reihe bellen“ Im: Tagesspiegel vom 09.11.08, online unter Stand: 20.12.2008
2 Uwe Rada (2001): Berliner Barbaren. Berlin: BasisDruck Verlag
Ana Hoffner ex-Prvuloviċ ist Performancekünstler_in und arbeitet in den Bereichen queerer und migrantischer Politik.